: Steinzeug in der Schweiz (14.–20. Jh.). Ein Überblick über die Funde im Kanton Bern und den Stand der Forschung zu deutschem, französischem und englischem Steinzeug in der Schweiz. Bern 2009 : Rub Media, ISBN 978-3-907663-16-5 108. S.

: Keramik um 1800. Das historisch datierte Küchen- und Tischgeschirr von Bern, Brunngasshalde. Bern 2009 : Rub Media, ISBN 978-3-907663-21-9 116 S.

Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Elke Jezler-Hübner

Gleich zwei innert Jahresfrist erschienene Schriften des Archäologen und Keramikspezialisten Andreas Heege lenken den Blick auf keramische Bodenfunde, auf Schutt und Scherben – und weit darüber hinaus. Der Band zum Steinzeug zeichnet anhand von Funden in der Schweiz die Entwicklung dieser bedeutenden Keramikart von ihren Anfängen am Ende des Mittelalters bis ins 20. Jahrhundert, während der zweite Titel uns aus dem Füllschutt der Brunngasshalde in Bern die ganze breite Palette des Geschirrs vor Augen führt, das in Berner Haushalten im Zeitraum von gut einer Generation zu Bruch ging und demzufolge um 1800 in aktuellem Gebrauch gewesen sein dürfte.

Graues, salzglasiertes und kobaltblau verziertes Steinzeug «Westerwälder Art» gehörte in Form von Mostkrügen und als doppelhenkeliger Vorratstopf bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts in jeden ländlichen Haushalt der Schweiz. Von veränderten Formen der Vorratshaltung verdrängt, führen die unverwüstlichen Stücke ein Nachleben etwa als Schirmständer, doch scheint das Ende absehbar. Heute gibt es, auch als Folge neuer Brenntechnologien, keine Produktion in grossem Stil mehr.

Das bei hohen Temperaturen gebrannte Steinzeug war über Jahrhunderte einer der widerstandsfähigsten Werkstoffe, wasserdicht, säurebeständig, geschmacksneutral, allerdings nicht feuerfest und daher zum Kochen ungeeignet. Da auf dem Gebiet der Schweiz geeignete Tonvorkommen fehlen, war Steinzeuggeschirr stets Importware (von der Verarbeitung importierter Tone in jüngerer Zeit abgesehen). Die Zentren der Produktion lagen beidseits des Rheins südlich von Köln. Rötlichbraunes Steinzeug aus Siegburg tritt erstmals um 1300 auf; graugebranntes und blau bemaltes Steinzeug entsteht ab ca. 1570 und gelangt im 17. Jahrhundert vor allem im Westerwald zu seiner grössten Blüte.

Quellenlage und Forschungsinteresse rückten bis anhin den flussabwärts nach Norden, nach Skandinavien und ins Baltikum gerichteten Handel mit der Massenware Steinzeug vor Augen. Bekannt ist auch, dass Westerwälder Ware über Handel und Warentausch nach Westafrika gelangte. Vor Australiens Küste gesunkene Schiffe enthielten in ihrer Fracht Steinzeug vom Rhein und liefern mit dem Tag ihres Untergangs wichtige Eckdaten für die Entwicklung von Formen und Dekoren. Ob, wann, in welchem Umfang und in welchen Kreisen rheinländisches Steinzeug in der Schweiz verhandelt wurde, ist bisher nicht systematisch untersucht worden. Dazu bietet Heege nun in äusserst konzentrierter Form entscheidende Grundlagen und erste Antworten.

Die archäologischen Grabungen der letzten Jahre in der Stadt Bern anlässlich von Parkhauserweiterungen betrafen mit den Auffüllungen der alten Gräben im Bereich von Waisenhaus- und Bärenplatz und mit der Böschungsschüttung an der Brunngasshalde präzis datierte Fundkomplexe. Heege stellt den neuen Berner Steinzeug-Bodenfunden eine grosse Zahl weiterer, oft unpublizierter Funde aus Schweizer Boden an die Seite und setzt sie in Bezug zu oberirdisch erhaltenen Gefässen und verschiedenen Museumsbeständen, darunter des Historischen Museums Bern. Erkennbar wird, dass in der Deutschschweiz wie auch in Bern der Importstrom an grauer, salzglasierter und blau oder manganviolett bemalter Ware gegen 1600 deutlich zunimmt und dass das Fundspektrum die bekannte Entwicklung weitgehend abbildet. An Formen kommen Kannen, Krüge und Humpen vor, oft mit reichem Dekor.

Keineswegs war dem Geschirr aus Steinzeug eine ausschliessliche Existenz in dunklen Kellern beschieden. Einige Gefässe wurden, wie Wappenauflagen belegen, um 1600 speziell für die Eidgenossenschaft, für den Stand Bern und die Stadt Zürich gefertigt, doch ist gegenwärtig nicht zu entscheiden, von welcher Seite der Anstoss für derartige Prachtobjekte ausging. Unbestritten ist jedenfalls das hohe Prestige, das dem Importsteingut beigemessen wurde. Für eine andauernde Wertschätzung in städtisch-patrizischen Kreisen spricht, neben dem frühen Einzug in Museumssammlungen, auch das Auftreten von Altfunden in jüngeren Zusammenhängen. Als schweizerische Besonderheit stellt Heege ein paar offensichtliche «Imitationen» älterer Westerwälder Steinzeuge in blau und weiss engobierter Irdenware der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vor, wohl aus dem Kanton Bern und aufbewahrt im Historischen Museum Bern.

Die Berner Funde des 18. Jahrhunderts bezeugen wie erwartet die zunehmende Bedeutung von Kaffee- und Teegeschirr auch beim Steinzeug und verweisen mit weissem, salzglasiertem Steinzeug englischer Provenienz auf Berns Beziehungen zu England. Für das 19. Jahrhundert wird die Einschätzung schwierig, nicht nur mangels geeigneter Fundmengen, sondern vor allem aufgrund neuer Produktionsstätten, häufig begründet von aus dem Westerwald ausgewanderten Handwerkern. Ein weiteres Kapitel widmet Heege der Verwendung von Steinzeuggefässen zum Versand von Mineralwasser und Chemikalien, wobei auch hier die Bodenfunde das archivalisch und kulturgeschichtlich Bekannte stützen.

Die zweite Schrift gilt einem Massenfund an repräsentativen Hinterlassenschaften des (keramischen) Alltags in Bern um 1800. Voran geht eine detaillierte Beschreibung der Entstehung der heutigen Brunngasshalde zwischen 1787 und ca. 1835. Akten, Pläne und Ansichten geben Auskunft über eine der grossen städtebaulichen Massnahmen in Bern, in deren Verlauf die Entwässerung und die Kloaken der Häuser am nördlichen Aarehang saniert, die Strasse errichtet und der Hang aufgefüllt wurde. Die Beschaffung des Füllschutts (herbeigeschafft durch Strafgefangene, die «Schallenwerker») und die Reglementierung der Einfüllung hat sich in zahlreichen behördlichen Protokollen niedergeschlagen, was der Feindatierung der Schichten zugute kommt. Begonnen ab 1787, wurde demnach die Auffüllung schwergewichtig in den Jahrzehnten nach 1800 vorgenommen und 1832 abgeschlossen.

Im Zentrum der Publikation steht die Auswertung der zutage getretenen Geschirrkeramik in einer Auswahl von ca. 8% des stichprobenartig geborgenen Materials, geordnet nach Waren- und Dekorationsart. Auch wenn nicht rekonstruiert werden kann, von wo die Fuder herangeführt wurden, ist doch anzunehmen, dass es sich um Geschirrabfälle aus bernischen Haushalten handelt. Der Vergleich mit Museumsbeständen des Kantons offenbart, wie erst die archäologischen Funde unser Bild der keramischen Wirklichkeit vervollständigen, galt doch Alltagsgeschirr nicht als sammlungswürdig.

Sofern Datierungen gegeben sind, sei es anhand gemarkten Steinguts oder durch Vergleiche mit datierten Museumsstücken, fällt auf, dass das Fundgut der Brunngasshalde praktisch keine Altstücke enthält und im Wesentlichen den aktuellen breit sortierten Geschirrmarkt im Bern der Zeit abbilden dürfte. Im Gegensatz zu den an die 100 Jahre älteren Verfüllungen beim Waisenhaus sind Steinzeugscherben nur noch selten; Porzellan (asiatisches und europäisches) ist weniger vertreten als erwartet; das neue billigere Steingut aus England, Frankreich und vom Genfersee ist im Vormarsch, doch bevorzugen bessergestellte Berner offenbar (mit einem Drittel aller Fragmente) vor allem weisses Fayencegeschirr unbekannter Herkunft auf ihrer Tafel.

Als preisgünstigstes Erzeugnis stellt die glasierte Irdenware aus lokaler und regionaler Produktion (mit und ohne Grundengobe) etwa einen Viertel der Scherben. Im 18. Jahrhundert typische Dekore treten zurück zugunsten der neuen Spritz- und Verlaufdekore, während sich der ältere einfache Malhorndekor halten kann. Auffällig ist, dass die aktuelle aufwändig dekorierte rot- oder schwarzgrundierte Heimberger Ware trotz der Nähe zu Bern und der bekannten grossen Produktivität dieses Töpferdorfes vergleichsweise gering vertreten ist. Auch dies ist ein Hinweis darauf, dass die aus Sammlungen bekannten Stücke nur ein Segment des tatsächlichen Aufkommens repräsentieren und noch längst nicht alle in Heimberg produzierte Keramik als solche erkannt ist.

Ein besonderer Reiz des vorliegenden Bandes liegt in der ansprechenden Präsentation der nach Materialgattungen zu akkuraten Feldern gruppierten Scherben. Hier macht es Sinn, dass nur in Einzelfällen intakte Vergleichsbeispiele abgebildet sind. Wie sonst könnte man die ganze Fülle und Vielfalt an keramischen Techniken, Glasuren, Farben und Dekoren auf so engem Raum vereint finden? Nicht anders als bei einem antiken Torso weckt auch hier die fragmentarische Erhaltung die Phantasie und schärft den Blick für manches Detail der Formgebung.

Des Autors breites historisches Wissen, seine geradezu überwätigende Materialkenntnis und eine stupende Fülle an Informationen (viele sinnvollerweise in ausführlichen Fussnoten untergebracht) machen zusammen mit den vorzüglichen Abbildungen die beiden Arbeiten zu Fundgruben für Interessierte und für weiterführende Forschungen – ein überzeugender Beitrag der modernen Archäologie an eine «Rekonstruktion der Geschichte des Alltags und einer Kulturgeschichte der Dinge» (D. Gutscher im Vorwort 2009).

Zitierweise:
Elke Jezler-Hübner: Rezension zu: Heege Andreas: Steinzeug in der Schweiz (14.–20. Jh.). Ein Überblick über die Funde im Kanton Bern und den Stand der Forschung zu deutschem, französischem und englischem Steinzeug in der Schweiz. Bern, Verlag Rub Media, 2009, 108 S. / Heege Andreas: Keramik um 1800. Das historisch datierte Küchen- und Tischgeschirr von Bern, Brunngasshalde. (Mit einem Beitrag von Susanne Frey-Kupper.) Bern, Verlag Rub Media, 2010. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 73 Nr. 2, 2011, S. 42-45.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 73 Nr. 2, 2011, S. 42-45.

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